Eine kurze Vorgeschichte
und ein fröhlicher Abschied von Egon S.
GRAF+ZYX 2007
Die Stadt Neulengbach hat sich vor einigen Jahren dazu entschlossen, ihrem historischen Konnex mit zeitgenössischer Kunst in zweierlei Hinsicht Rechnung zu tragen:
Erstens stellt sie sich auf bemerkenswerte Art der Tatsache, dass Egon Schiele eine Zeit lang hier gelebt und gearbeitet hat, aber auch aufgrund seiner Arbeit im Gefängnis gesessen ist, und würdigt seinen künstlerischen Stellenwert und seinen Status als Avantgardist, indem sie ihm ein jährlich durchgeführtes Festival widmet.
Zweitens steht Neulengbach zur Erkenntnis, dass ein jedenfalls unverzichtbarer Bestandteil des Kulturlebens einer Stadt mit überregionalem Ehrgeiz eben die konsequente Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst ist.
2006, im Zug unserer Beteiligung am disziplinär erweiterten SCHIELEFESTIVAL 2006 Neulengbach, lernten wir die Aufgeschlossenheit der Stadt auch zeitgenössischer bildender Kunst gegenüber näher kennen und es entstand die Idee, diese Chance zur Etablierung des Bereichs der bildenden Kunst, der uns seit je am meisten am Herz liegt - der audiovisuellen Medien-, Computer- und Netzkunst - auch außerhalb Wiens zu ergreifen. Der :[KV-N] wurde gegründet, X-tended und visionXsound:[KV-N] konzipiert.
Ursprünglich war geplant, im ersten Jahr noch auf der Beschäftigung mit dem Phänomen Schiele aufzubauen und diese Thematik nach und nach zu erweitern und letztlich zu verlassen, im konkreten Planungsverlauf hat uns aber ein gütiges Schicksal sehr bald dazu animiert, diesen Schritt in die Ultramoderne radikal vom ersten Moment an zu tun: Schiele ist schließlich tot und Porno sowieso ein schlapper Hut, also lebe die Medienkunst.
Der nun in diesem Zusammenhang zum letzten Mal erwähnte Name Egon Schieles wäre ohnehin nicht mehr und nicht weniger als die hochkarätige Markierung des Anfangspunkts aller unserer Aktivitäten im Projekt gewesen, über den - als monodisziplinären Vertreter einer »klassischen« Kategorie der bildenden Kunst - wir in der Folge programmatisch sofort auf vielfache Weise hinausgegangen wären:
1. In der bildenden Kunst im Sinn einer Erweiterung [x-tension], indem wir in das Feld der künstlerischen Auseinandersetzung und Interpretation – beginnend bei der Fotografie über die audivisuellen Medien bis zur Computer- und Netzkunst im Internet – alle neuen Medien einbringen.
2. In der Kunstvermittlung, indem wir, ausgehend von der Künstlerperson des beginnenden 20. Jahrhunderts, ihrem unmittelbaren künstlerischen und kulturellen Umfeld und ihren kunstästhetischen Beziehungen, sozusagen die Kunst und Kunsttheorie dieser Zeit beleuchten, um dann über das klassische Künstlerbild hinaus im Vergleich auf Ähnlichkeiten und/oder Unterschiede in der Ausbildungs- und Arbeitssituation damaliger und zeitgenössischer Künstler 100 Jahre später überzuleiten.
3. Im Bereich des Gesellschaftlich-Sozialen und (Kultur)politischen, indem wir über den nach wie vor durchaus auch moralisch heftig diskutierten Begriff der Pornografie in der Kunst hinaus auf die heute wie damals vorhandenen Vorurteile und Haltungen der jeweils zeitgenössischen Kunst und ihren Vertretern gegenüber eingehen.
4. Territorial, indem wir der Tatsache Rechnung tragen, dass als Folge der modernen, weltweiten Vernetzung und den daraus resultierenden neuen Publikations- und Zugriffsmöglichkeiten der geografische Ort von Kunstproduktion wie -rezeption zunehmend an Bedeutung verliert und Kunst im allgemeinen zwangsläufig immer weniger von lokalen Traditionen und immer mehr von Einflüssen »aus aller Welt« (deren ursprünglicher Entstehungsort nicht selten gar nicht mehr zu identifizieren ist) geprägt wird und daher auch nicht mehr als in nationale oder gar lokale Kulturen eingebettetes, sondern als universales Phänomen behandelt werden muss ...